Es ist ein eher unscheinbarer Platz mitten in Hamburg, der vor allem bei Studenten der angrenzenden Universität bekannt ist: der Joseph-Carlebach-Platz (früher Bornplatz) im Grindelviertel in direkter Nähe zum Fernsehturm, den Messehallen und dem Abaton Kino.
Wie so oft an geschichtsträchtigen Orten, fallen die Hinweise auf die Vergangenheit den Vorbeigehenden gar nicht so sehr auf. Und doch sind es so einige: Mehrere Stolpersteine, dazu Hinweisschilder am angrenzenden Hochbunker des Instituts für Bodenkunde der Universität Hamburg und eine leuchtende Tafel an der Straße. Was aber am deutlichsten ins Auge springt, ist der Boden: Er trägt ein riesiges, dunkles Muster.
Hamburg: Größte Synagoge Norddeutschlands
Der abwechselnd hell und dunkel gearbeitete Asphalt kommt nicht von ungefähr und hat eine besondere Bedeutung. Er ist die Erinnerung an die Grundrisse eines Gebäudes, das hier bis vor 82 Jahren stand: die Bornplatz-Synagoge. Sie war bis 1939 die größte Synagoge Norddeutschlands mit Platz für über 1.000 Gläubige und das Zentrum jüdischen Lebens mitten in Hamburg.
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Erbaut 1906, bestand sie letztlich nur 33 Jahre. Während der Reichsprogromnacht hatten sich laut der „Initiative zum Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge“ in den frühen Morgenstunden des 10. Novembers 1938 Menschen vor der Synagoge versammelt, Scheiben eingeworfen und Feuer gelegt.
Randalierer waren in das Haus eingedrungen, schändeten die Tora und andere kultische Gegenstände. Erst am Abend meldete die Feuerwehr, dass ein Kleinfeuer ausgebrochen sei.
1939 wurde die Jüdische Gemeinde gezwungen, das Grundstück zu einem geringen Preis an die Stadt zurückgeben und die Kosten für den Abriss der Synagoge tragen.
Hamburg: Neue Synagoge in Wohnviertel
Selbst in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg passierte lange nichts und die Ungerechtigkeit fand kein Ende. Trotz Forderungen gab die Stadt das Grundstück nicht an die neu gegründete jüdische Gemeinde der Stadt zurück.
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1960 wurde eine neue Synagoge an der Hohen Weide in Eimsbüttel eingeweiht. Ein schmuckloser, funktionaler Bau in einem ruhigen Wohngebiet mit gesperrter Straße. Kein Vergleich zum lebendigen Grindelviertel.
Erst 2019, also 80 Jahre nach dem Zwangsabriss der Bornplatz-Synagoge, entwickelte sich eine spannende Debatte über einen möglichen Wiederaufbau an historischer Stelle.
Anfang 2020 befürwortete die Hamburger Bürgerschaft einstimmig ein solches Vorhaben, im Oktober gründete sich die „Initiative zum Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge“.
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Hamburg: Kampagne mit überwältigender Zustimmung
Initiator und Sprecher Daniel Sheffer sagt im Gespräch mit MOIN.DE, diese sei auch dadurch entstanden, dass 2020 ein Rekordjahr mit antisemitischen Anschlägen gewesen sei. Und: der Beschluss der Bürgerschaft seien erstmal nur Worte gewesen. „Sie verändern nicht. Es sind Menschen, die verändern. Worten müssen auch Taten folgen. Wir brauchen Haltung, aber auch Handlung.“
Am 9. November 2020 startete die Kampagne „Nein zu Antisemitismus. Ja zur Bornplatzsynagoge“. Mit überwältigendem Erfolg: über 107.000 Unterstützer fanden sich. Damit hatte die Initiative selbst nicht gerechnet.
„Erhofft hatten wir uns ein starkes Zeichen. Aber das konnten wir nicht erwarten“, sagt Sheffer. Es sei eine der größten Bürgerbewegungen in Hamburg und die stärkste Kampagne gegen Antisemitismus in Deutschland gewesen.
Ende November wurde das Anliegen mit den vielen Unterstützern schließlich symbolisch an die Stadt Hamburg und die jüdische Gemeinde übergeben. Der Haushaltsausschuss des Bundestages stellte 65 Millionen Euro für den Wiederaufbau bereit, etwa das Doppelte wird er wohl kosten. Sofern es nicht, wie so oft, eine Kostenexplosion gibt.
Hamburg: Neubau könnte historischem Vorbild ähneln
Aktuell wird die Machbarkeitsstudie vergeben. Wenn alles gut läuft, so Sheffer, könne die Bornplatz-Synagoge 2025 wieder stehen. „Das geht nur, wenn alle Beteiligten den Willen mitbringen“.
Der Neubau könnte dabei optisch stark dem historischen Vorbild ähneln. Aber man müsse prüfen, was machbar sei, sagt Sheffer.
Verkehrs- und Anwohnerfragen spielen ebenso eine Rolle wie Sicherheit. Wie kommen die Gläubigen ins Gebäude? Synagogen werden grundsätzlich von der Polizei bewacht, einen Zaun würde Sheffer gerne verhindern.
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Auch sei wichtig, wie viele Eingänge es geben soll. Einen oder mehrere? Und sind sie von der Straße aus erreichbar? In der Vergangenheit hatte es Anschläge gegeben, wo die Attentäter mit dem Auto vorfuhren und dann anfingen, auf Menschen jüdischen Glaubens zu schießen.
Hamburg: Projekt nicht zerreden
Auch wenn das Äußere des Neubaus womöglich dem historischen Vorbild sehr ähneln wird, so seien die Ansprüche an das Innere heute ganz anders, sagt Sheffer. Man brauche mittlerweile keinen riesigen Gebetsraum mit Platz für 1.200 Menschen mehr. Die Zahl der Gläubigen, die in Hamburg durchschnittlich zum Gebet zusammenkommen, ist deutlich geringer.
Stattdessen soll Platz gemacht werden für Schulungsräume, wo Schüler jüdisches Leben und die Historie des Ortes verstehen und auch multimedial erleben können.
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„Wir reden nicht mehr über das Ob, sondern das Wie. 80 Jahre fand das nicht statt“, freut sich Sheffer. „Was die Nazis zerstört haben, machen wir wieder sichtbar.“
Ein solches Vorhaben am historischen Standort einer Synagoge ist in der Form in Deutschland einzigartig.
Man solle das „Projekt nicht zerreden und nach über 80 Jahren nicht zu viel Zeit verstreichen lassen. Ich kann da nur appellieren“, so der Initiativen-Sprecher.