Weniger Auto, mehr Fahrrad, Bus und Bahn. Das haben sich der Senat der Stadt Hamburg und besonders die Verkehrsbehörde zum Ziel gesetzt. „Mobilitätswende“ nenne sie das Ganze. Und damit die gelingt, braucht es eine Infrastruktur, die so gut ist, dass es sich für die Menschen lohnt, auf Fahrrad, Bus und Bahn umzusteigen.
Da das Auto hochflexibel und beliebt ist, ist es so etwas wie der Endgegner in dem ganzen Spiel. Eine gewichtige Strategie in der Verkehrspolitik lautet daher: Die Alternativen zum Pkw müssen so attraktiv wie möglich gemacht werden, damit die Menschen ihre Wagen stehen lassen. Gelingt dies nicht, hat Hamburg kaum eine Chance eine „Mobilitätswende“ einzuleiten.
Hamburg ist vorsichtig bei der Mobilitätswende
Eine weitere Strategie, die man wählen kann: Das Autofahren unattraktiv machen. Damit tut man sich im Autoland Deutschland aber gewissermaßen schwer. Selbst in Hamburg, in einer Stadt mit von Grünen geführter Verkehrsbehörde, wird mit dem Autoverkehr eher behutsam umgegangen. Es gehe um das Zurückdrängen, nicht das Verbannen, heißt es.
So führt die Stadt zwar beispielweise Anwohnerparkzonen ein, die Parkausweise sind für die Bürger für ein Jahr mit 65 Euro aber moderat teuer und halten einen nicht wirklich davon ab, ein Auto zu besitzen. In Tübingen in Baden-Württemberg werden hingegen bald 120 Euro verlangt. Für Fahrer schwerer Wagen sogar 180 Euro. Der dortige grüne Bürgermeister Boris Palmer hätte gerne das Doppelte durchgesetzt, scheiterte aber am Gemeinderat.
Ein weiteres Beispiel in Hamburg ist der Bereich der Sternbrücke: Die Kreuzung soll zugunsten einer neuen Brücke für den Zugverkehr komplett umgebaut werden, irgendwie soll es mehr Platz für Fußgänger, Busse und Radfahrer geben, aber andererseits auch der Autoverkehr auf der wichtigen Achse nicht groß zurückstecken müssen.
Hamburg will Alternativen zum Auto stärken
Kommen wir aber zurück zur Strategie des Auto-Alternativen-schmackhaft-machens. So will Hamburg Menschen vorsichtig dazu bewegen, umzusteigen. Ob das klappt wie erhofft, ist offen. Ein paar Beispiele für Projekte: Mit dem neuen Hamburg-Takt soll jeder Einwohner in fünf Minuten ein Angebot des öffentlichen Nahverkehrs erreichen können, es wird die U-Bahn-Linie 5 gebaut, die U4 verlängert, die S4 geschaffen.
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Und dann wäre da ja noch: der Radverkehr! Eines der Lieblingsthemen des grünen Verkehrssenators Anjes Tjarks. Hier und da werden in Hamburg Autospuren zugunsten von Fahrrädern freigegeben, die neuen gelben Markierungen dafür kommen aber stellenweise ziemlich wild daher und könnten schnell wieder entfernt werden. Auch hier agiert Hamburg vorsichtig: Erst einmal testen, wie es läuft. Vor ein paar Monaten packte die Stadt dann aber etwas Großes aus. „The Next Big Thing“ würden man bei Apple sagen.
Hamburg will in seiner Metropolregion ein Radschnellnetz bauen, das viele Kilometer ins Umland hereinreicht. Sogar bis nach Elmshorn, Bad Bramstedt, Ahrensburg, Geesthacht, Lüneburg, Tostedt und Stade. Das ist natürlich aufwändig, es müssen Grundstücke gekauft sowie Brücken und Wege (aus-)gebaut werden. Viele Kosten würde aber wohl der Bund übernehmen.
Hamburg: Schub für die Mobilitätswende?
„Auf einer Länge von 300 Kilometern wird es die Mobilitätswende nochmal deutlich nach vorne bringen“, meint Anjes Tjarks. Der Charakter der Wege, die möglichst an Bahnschienen und Haltestellen verlaufen sollen, wäre eher ein „Fahrradboulevard“, keine „Fahrradautobahn“.
Die große und alles entscheidende Frage lautet natürlich: Werden diese Wege tatsächlich von vielen Menschen genutzt, die dann auch das Auto stehen lassen beziehungsweise nicht mehr für volle Busse und Bahnen sorgen? Der Senat sieht das Projekt als „Grundstein für die Verlagerung von Teilen des Pendlerverkehrs vom Pkw auf das Fahrrad.“
Insgesamt soll sich das Netz an eine halbe Million Pendler in vier Bundesländern richten. „Wir verfolgen in Niedersachsen das Ziel, den Anteil des Radverkehrs bis 2025 von 15 auf 20 Prozent zu steigern. Das geplante Radschnellnetz bringt uns unserem Ziel ein Stück weit näher“, sagt Bernd Althusmann (CDU), Verkehrsminister in Niedersachsen.
Die Technische Universität Hamburg hatte im Vorfeld in einer Analyse 33 Korridore in der Metropolregion untersucht. Die Frage war, wie sich die Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen, Schulen oder Einkaufsmöglichkeiten verbessert, wenn Radschnellwege gebaut werden. In einem zweiten Schritt wurde untersucht, wo die meisten Menschen von einem Radschnellweg profitieren können und wo die Bedingungen für die Umsetzung günstig sind.
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Daten und Fakten über Hamburg:
- Hamburg ist als Stadtstaat ein Land der Bundesrepublik Deutschland.
- Hamburg ist mit rund 1,9 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Deutschlands und die drittgrößte im deutschen Sprachraum.
- Das Stadtgebiet ist in sieben Bezirke und 104 Stadtteile gegliedert, darunter mit dem Stadtteil Neuwerk eine in der Nordsee gelegene Inselgruppe.
- Der Hamburger Hafen zählt zu den größten Umschlaghäfen weltweit.
- Die Speicherstadt und das benachbarte Kontorhausviertel sind seit 2015 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes
- International bekannt sind auch das Vergnügungsviertel St. Pauli mit der Reeperbahn sowie das 2017 eröffnete Konzerthaus Elbphilharmonie.
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Hamburg: Das sagt der ADFC
In Sozialen Netzwerken glauben Menschen, nur ein Bruchteil der Pendler würde durch die neuen Radschnellwege tatsächlich auf das Fahrrad umsteigen. Andere wiederum meinen, sie würden zu sehr verkehrsfluss-störende Spaziergänger einladen.
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MOIN.DE hat beim Allgemeinen Deutschen Fahrradclub nachgefragt. Dort ist man grundsätzlich sehr positiv gestimmt. „Wenn Radschnellwege so gebaut werden, dass sie Pendler*innen zügig, ohne größeren Zeitverlust oder Umwege und komfortabel in die City beziehungsweise nach Hamburg bringen, werden unserer Einschätzung nach sehr viele Menschen auf dieses Angebot positiv reagieren und sich für ein Umsteigen vom Auto aufs Rad entscheiden“, sagt Sprecher Dirk Lau.
„Es wird davon ausgegangen, dass unter den Pendler*innen, die im Schnitt 15 Kilometer Fahrtstrecke haben, 60 Prozent auf das Fahrrad umsteigen könnten.“ Der ADFC sieht ein enormes Potential zur Stauentlastung, gerade auf Bundesstraßen und Autobahnen. „Viele, die heute noch das Auto nutzen, würden – besonders auch durch die Entwicklung im Bereich der Elektroräder und Pedelecs – auf das Rad umsteigen, wenn die Radewegeverbindung sicher und schnell wäre“, gibt sich Lau überzeugt.
Hamburg: Kritik an den Routen
Der ADFC sieht aber auch Anlass zur Kritik: Einige der Routen würden den Ansprüchen von Radschnellwegen nicht genügen:
„Wer aber bei den jetzt vorgestellten Radschnellwegen an kreuzungsfreien oder auch nur an das Fahrrad priorisierenden Verkehr denkt, wird an vielen Stellen leider enttäuscht. Häufig werden bestehende Streckenabschnitte einfach nur zu Fahrradstraßen umgewidmet, ebenso häufig sind geplante Abschnitte untermaßig, also nicht in der angemessenen Breite angelegt.“
Für die Strecke von Ahrensburg aus habe man gar nicht erst den Anspruch, dass sie weiter als bis nach Volksdorf in die Stadt geführt werde. Bei Flächen- oder Verteilungskonflikten mit den Interessen anderer Verkehrsträger würde das Fahrrad in der Planung oftmals nicht priorisiert. Beim ADFC hofft man, mit der Stadt an Detailplanungen zusammenzuarbeiten.
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Das ist Anjes Tjarks:
- Anjes Tjarks wurde am 12. März 1981 in Hamburg geboren.
- Er ist verheiratet und hat drei Kinder.
- Anjes Tjarks studierte Erziehungswissenschaft, Anglistik und Sozialwissenschaften und promovierte anschließend in den Bereichen Politikwissenschaft und kognitive Linguistik.
- Seit 1998 ist Anjes Tjarks bei den Grünen.
- Seit 2011 war er Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und von 2015 bis 2020 Fraktionsvorsitzender der Grünen Bürgerschaftsfraktion.
- Seit dem 10. Juni 2020 ist er erster Senator für Verkehr und Mobilitätswende der Stadt Hamburg.
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Hamburg: Misstrauische Bürger
„Ich fahre selbst viel mit dem Rad. Aber wer fährt ernsthaft im Alltag von Bad Bramstedt oder ähnlichem nach Hamburg mit dem Fahrrad – und dann wieder zurück?“, schreibt ein Mann unter den Beitrag von Anjes Tjarks auf Facebook. Das ist aber nicht die grundsätzliche Idee. Es soll auch darum gehen, Teilstrecken zu fahren und für den Rest beispielweise die Bahn zu nehmen.
Zudem dürfte klar sein, dass sich die Begeisterung zum Fahren von langen Strecken im Winter bei vielen Menschen eher in Grenzen hält.
Nichtsdestotrotz haben andere Großstädte gute Erfahrungen mit Radschnellwegen gemacht. So zum Beispiel Kopenhagen, das ja bekanntermaßen als sehr fahrradfreundliche Stadt gilt, die viele zum Umstieg bewegen konnte und weit fortgeschritten mit der „Mobilitätswende“ ist.
Das weiß Anjes Tjarks bestens. Mit seinem Rad war er schon in der dänischen Hauptstadt unterwegs, sie ist so etwas wie ein Vorbild. In Hamburg lässt der Grüne auf der Elbchaussee erstmalig in der Hansestadt kilometerlange Wege für Radfahrer errichten, die baulich von Autos und Fußgängerverkehr getrennt sind. Wie man so etwas nennt? „Kopenhagener Radwege“.