Als zu Beginn des Prozesses am Landgericht in Hamburg Journalisten Fotos machen dürfen, versteckt die Angeklagte ihr Gesicht hinter einem Ordner. Links die Wand des Ordners, rechts dick die Unterlagen, die darin abgeheftet sind. Nur das schulterlange, glatte, dunkelblonde Haar über der grauen Strickjacke ist zu sehen.
Was die 36-jährige Angeklagte aus Hamburg Farmsen-Berne getan haben soll, ist entsetzlich: Die dreifache Mutter, von Beruf Krankenschwester, soll ihrer vierjährigen Tochter Schlaf- und Beruhigungsmittel verabreicht haben, die für das Kind hätten tödlich sein können. Die 36-Jährige muss sich wegen versuchten Mordes und schwerer Körperverletzung vor dem Hamburger Landgericht verantworten.
Hamburg: Die Anklage geht von Heimtücke aus
Laut Anklage brachte die dreifache Mutter ihre Tochter am 28. Dezember 2020 mit Verdacht auf Schädelprellung ins Kinderkrankenhaus Wilhelmstift. Das Kind sei vom Sofa gefallen. Weil der Zustand des Mädchens sich aber verschlechterte, wurde es ans Kinder-UKE überwiesen.
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Wegen neurologischer Auffälligkeiten, die nicht allein durch die Schädelprellung hervorgerufen worden sein konnten, habe es dort weitere Untersuchungen gegeben, berichtete ein Gerichtssprecher. In Urin- und Blutproben seien Rückstände von Schlaf- und Beruhigungsmitteln gefunden worden. „Es waren sogenannte Benzodiazepine dabei, die nicht für kleine Kinder geeignet sind.“
Die Ärzte erstatteten Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaft wirft der Mutter vor, ihrem Kind ein mitgebrachtes Mittel im Kinderkrankenhaus Wilhelmstift verabreicht zu haben und zwei weitere Medikamente im Kinder-UKE. Das Kind sei schläfrig und matt geworden. Die Anklage geht von Heimtücke aus, weil das Kind seiner Mutter vertraute.
Die Staatsanwaltschaft gehe nach bisherigen Erkenntnissen nicht davon aus, dass die Schuldfähigkeit aufgrund einer psychischen Erkrankung eingeschränkt gewesen sei, sagte der Gerichtssprecher. Den Vorfall Ende vergangenen Jahres hat das Mädchen glücklicherweise gesundheitlich gut überstanden. Es ist das mittlere der drei Kinder. Sie kamen alle vorübergehend in staatliche Obhut.
Hamburg: Das Motiv war zu Prozessbeginn völlig unklar
Die verheiratete Mutter sitzt seit Anfang Februar in Untersuchungshaft. Sie hat bislang keine Angaben bei der Polizei gemacht. In einer Strafanzeige soll sie laut Gericht jedoch den Verdacht geäußert haben, Grund für die Vergiftung seien Verwechslungen von Medikamenten in den Krankenhäusern. Was das Motiv für die Tat sein könnte, war bis Prozessbeginn völlig unklar. Die Ermittlungen hatten bislang zu keinerlei Motiv geführt.
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Der Prozess soll Licht in dieses Dunkel bringen. Annette Voges, die Verteidigerin der Angeklagten, sagt am Montag zu Beginn der Verhandlung, ihre Mandantin werde sich umfassend äußern. Was die 36-Jährigen zu ihren Lebensumständen zu sagen hat, darf die Öffentlichkeit allerdings nicht erfahren.
Es kämen auch persönliche Details zu ihren Kindern, ihrer Ehe und ihren Freunden zur Sprache, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt seien. Dies sei wichtig, damit das Gericht einen Einblick in ihre Persönlichkeit bekomme. Nach der Verlesung der Anklageschrift stellt die Verteidigerin daher einen Antrag, die Öffentlichkeit auszuschließen. Richter und Schöffen verlassen den Raum, beraten sich kurz, kehren zurück. Der Vorsitzende Richter Matthias Steinmann gibt dem Antrag statt.
Hamburg: Die Angeklagte wirkte ruhig
Auf den alten Holzbänken im hinteren Teil des Saales knarzt es, die Journalisten verlassen den Raum, warten im Flur. Es ist völlig unklar, ob die Schilderung der Lebensumstände bereits nach 20 Minuten oder erst nach zwei Stunden beendet sein würde. Nach zweieinhalb Stunden schaltet das Licht vor dem Saal wieder auf Grün.
Weitere Erkenntnisse zum Fall sind für die Öffentlichkeit an diesem ersten Prozesstag allerdings nicht mehr zu gewinnen. Es gibt lediglich noch eine Vorausschau auf den weiteren Verlauf der Verhandlung. Der zweite Teil wird am Mittwoch, 4. August, um 13 Uhr folgen. Die Kinderärztin der Familie soll in dieser öffentlichen Sitzung ebenfalls anwesend sein.
Als der Vorsitzende Richter ankündigt, dass sich die Angeklagte am Mittwoch auch zur Sache äußern werde, nickt die 36-Jährige mehrfach. Dann ist dieser erste Prozesstag beendet. Die Angeklagte erhebt sich. Unter ihrem Jäckchen trägt sie ein weißes T-Shirt, dazu Jeans und weiße Sneakers.
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Es ist der erste Verhandlungstag von vielen. Insgesamt 22 sind bis zum 6. Dezember geplant. (kbm mit dpa)