Anfang September in der See vor Schweden: Die „Mein Schiff 6“ des Aida-Konkurrenten Tui Cruises befindet sich in ruhiger See zwischen den Schären vor Stockholm, in Anfahrt auf den dortigen Hafen. Plötzlich ertönt an Bord eine Ansage durch die Lautsprecher, die manche Passagiere zufrieden zurücklässt:
„Die ,Mein Schiff’-Flotte setzt neue Maßstäbe bei Energieeffizienz, Emmissionsreduzierung und Ressourcenschutz“, verkündet eine Männerstimme. Anschließend ist bei der Aida-Konkurrenz die Rede von einem Abgas-Nachbehandlungssystem, der Reduzierung von Schwefelemissionen um bis zu 99,9 Prozent, von Stickoxiden um 75 Prozent und vom Partikelausstoß um 60 Prozent. Alles erweckt den Eindruck: Wow, wir sind hier richtig umweltfreundlich unterwegs.
Aida und „Mein Schiff“ jetzt umweltfreundlich unterwegs?
Während die Männerstimme spricht, wird aus dem Schornsteinen der „Mein Schiff 6“ dichter weißer Rauch in den schwedischen Himmel geblasen. Kein schwarzgrauer, wie sonst üblich. Die Männerstimme aus dem Lautsprecher weiß auch, warum. Bei dem Rauch handele es sich hauptsächlich „um Wasserdampf“, heißt es.
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Dann ist ja alles klar, oder? Die „Mein Schiff 6“ schippert vor Schweden anscheinend mit einem umweltfreundlichen Antrieb durch das Wasser. Die Zeiten, in denen sich Kreuzfahrende und die Kreuzfahrtindustrie als Umweltfrevel beschimpfen lassen müssen, sind wohl vorbei. Vielleicht werden Greta Thunberg und Luisa Neubauer bald an Bord der „Mein Schiff“ oder Aida begrüßt?
So weit ist es leider noch lange nicht. Auch wenn das alles, was die Lautsprecher-Männerstimme auf der „Mein Schiff“ sagt, positiv für das Klima ist, sind Kreuzfahrtschiffe bislang nicht wirklich umweltfreundlich unterwegs, auch wenn die Reedereien sich gerne so vor ihren Kunden geben. Besonders an einem großen Faktor hapert es noch gewaltig: dem Antrieb der Schiffe.
Aida und „Mein Schiff“ wollen 2040 klimaneutral unterwegs sein
„2040 werden wir mit der gesamten Aida-Flotte emissionsneutral auf Kurs sein“, sagt Sprecherin Marina Reuter auf Anfrage von MOIN.DE. Und von Friederike Grönemeyer vom Konkurrenten „Mein Schiff“ heißt es: „Unsere Vision ist klar und unsere Ziele sind ambitioniert: Wir wollen bis spätestens 2040 unsere Flotte klimaneutral betreiben.“
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Aber wie kann das überhaupt gelingen, eine große Flotte mit immer gigantischeren Schiffen klimaneutral zu betreiben? Dazu müssen die Unternehmen vor allem neue Antriebe in ihren Schiffen verbauen – die emissionsfrei sind.
Bislang fahren die fast alle Dampfer mit extrem umweltschädlichem Schweröl bzw. Diesel. Aida und Tui Cruises stellen allerdings nach und nach mit Flüssigerdgas (LNG) betriebene Schiffe in den Dienst, mit der „Aida Nova“ ist auch schon eines unterwegs.
Aida und „Mein Schiff“: Flüssigerdgas nicht des Problems Lösung
Flüssigerdgas wird gerne als klimafreundlich verkauft, ist aber auch nicht mehr als eine Brückentechnologie, bis etwas Besseres da ist.
„Flüssigerdgas als Treibstoff ist vor allem in Hinsicht auf den Klimaschutz höchst problematisch. Von Reedereien als emissionsärmere Alternative angepriesen zeigte sich in aktuellen Studien, dass trotz geringerer CO2-Emissionen die Klimabilanz insgesamt auf dem Niveau von Marinediesel oder sogar darüber liegt“, sagt Christian Kopp, Referent für Verkehrspolitik beim Natuschutzbund (Nabu), auf Anfrage von MOIN.DE.
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Das liege vor allem am sogenannten Methanschlupf, bei welchem „nicht zu verhindernde Methanemissionen entweichen. Aufgrund des enormen Treibhauspotentials von Methan, welches einem Vielfachen von CO2 entspricht, verschlechtert sich die Klimabilanz von LNG erheblich.“
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Daten und Fakten zu Aida:
- Aida ging aus der „Deutsche Seereederei“ hervor, einem volkseigenen Betrieb im Feriendienst der DDR
- Nach der Wende beschloss das Unternehmen, Kreuzfahrtschiffe nach amerikanischem Vorbild zu bauen
- Damit sollte das Prinzip eines Cluburlaubs auf die Kreuzfahrtreise übertragen werden
- 1996 ging das erste Aida-Clubschiff auf Reise, derzeit (Stand 2021) besteht die Flotte aus 13 Schiffen
- 15.000 Menschen aus 50 Ländern arbeiten für Aida, davon 13.500 an Bord der Schiffe
- Der Firmensitz von Aida ist in Rostock, die Reederei hat ihren Sitz in Hamburg
- Die Schiffe fahren unter italienischer Flagge, Aida gehört zum italienischen Unternehmen Costa Crociere
- Das Merkmal der Aida-Schiffe ist der Kussmund am Bug
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Hinzu kämen noch Probleme in Hinsicht auf den Umweltschutz bei der Förderung von Flüssigerdgas, insbesondere durch Fracking. „LNG ist eine untaugliche Brücke in Richtung Klimaneutralität“, findet Christian Kopp.
Die Verbesserung der Luftschadstoffbilanz, „die mit LNG unbestritten erreicht wird“, könne auch mit Diesel in Verbindung mit herkömmlichen Katalysatoren und Rußpartikelfiltern möglich werden.
Aida und „Mein Schiff“ kündigen erste emissionsfreie Schiffe für 2030 an
Das Problem, das der Natuschutzbund darüber hinaus sieht: Flüssigerdgas ist eigentlich mehr als eine Brückentechnologie. Denn neu in den Dienst gestellte Schiffe fahren oft jahrzehntelang auf den Meeren. „Wenn die Flotten spätestens 2050 emissionsfrei unterwegs sein sollen, muss heute der Grundstein dafür gelegt und in entsprechende Technologien investiert werden.“
An den „entsprechenden Technologien“, die der Nabu-Referent meint, wird in vielen Projekten auf der Welt gearbeitet. Das große Problem aber: Noch hat sich keine Technologie für große Schiffe durchgesetzt. Aida und „Mein Schiff“ kündigten dennoch an, ab 2030 emissionsfreie Schiffe in den Dienst zu stellen, die wiederum LNG ablösen, was der Natuschutzbund begrüßt.
Mit welchem Antrieb diese Schiffe dann aber unterwegs sein sollen, konnten weder Aida noch „Mein Schiff“ auf Anfrage von MOIN.DE sagen. Es braucht eben noch Zeit.
Einer, der an neuen Technologien forscht, ist Prof. Karsten Müller von der Universität Rostock. Er leitet den Lehrstuhl für technische Thermodynamik an der Fakultät für Maschinenbau und Schiffstechnik und hat einen klaren Favoriten, wie Schiffe in Zukunft emissionsfrei angetrieben werden könnten: mit Ammoniak. Dieses könnte umweltfreundlich aus grünem Wasserstoff hergestellt werden und Schiffsmotoren ohne „ernsthaft schädliche Emissionen“ antreiben.
Doch leider gibt es ein großes Problem: „Ammoniak hat keinen guten Ruf, weil es stinkt“, sagt Karsten Müller zu MOIN.DE. „Ich glaube schon, dass die Ammoniak-Lösungen größeres Potential haben. Das ist eher ein psychologisches Problem, Psychologie der Kunden. Wenn mal etwas schief läuft, gibt es keine Gefahr durch Ammoniak, aber es stinkt halt. Wenn man dann 1.000 Leute im Gestank hat und dann noch drei Menschen mit Atemwegserkrankungen, gibt es negative Presse. Aber als Techniker sage ich: Ammoniak ist ein vielversprechender Ansatz.“
Aida und „Mein Schiff“: Das Wasserstoff-Dilemma
Und was ist eigentlich mit Wasserstoff als Antriebstechnologie? Autos und Züge fahren doch auch schon damit. Doch es gibt etwas Wichtiges zu beachten: Dort treibt der Wasserstoff eine Brennstoffzelle an, die wiederum Strom für einen Elektromotor produziert. Für große Schiffe eignet sich das aber eher nicht. „Das lohnt sich nicht“, sagt Karsten Müller.
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Die Deutschen lieben Kreuzfahrt-Urlaub:
- Insgesamt unternahmen im Jahr 2018 rund 2,73 Millionen deutsche Passagiere eine Kreuzfahrt. Der Großteil davon entschied sich für eine Hochseekreuzfahrt, vor allem mit Aida und Tui („Mein Schiff“).
- Am beliebtesten sind Kreuzfahrten mit weitem Abstand bei US-Amerikanern, gefolgt von Chinesen – dann folgen die Deutschen.
- Über 30 Prozent der weltweiten Kreuzfahrtschiffe werden in der Karibik eingesetzt, damit ist sie vor dem Mittelmeer das beliebteste Fahrtgebiet.
- Die beliebtesten Fahrtgebiete unter den deutschen Kreuzfahrern sind Nordeuropa und das westliche Mittelmeer.
- Der Begriff hat seinen Ursprung in dem niederländischen Wort „kruiser“ aus dem 17. Jahrhundert, der ein kreuzendes (im Sinne von hin und her fahrend) Schiff bezeichnete.
- Dank des Kreuzfahrt-Booms der vergangenen Jahre ist Deutschland heute ein Werftenstandort von weltweitem Rang.
- In der öffentlichen Wahrnehmung werden aber immer auch die hohen Belastungen für Mensch und Umwelt durch Kreuzfahrtschiffe betrachtet.
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Auch rein mit Wasserstoff angetriebene Motoren ohne Brennstoffzelle sind möglich, aber in der Praxis schwierig. „Wasserstoff ist nicht die Lösung für alles. Die Energiedichte ist gering, ein Atlantik-Schiff müsste sehr, sehr viel Energie mitnehmen, da ist Wasserstoff nicht die beste Lösung. Bei einem Fährbetrieb zwischen Rostock und Göteborg ist das was anderes“, so Karsten Müller. Es gebe auf der Welt kein großes kommerzielles Schiff, das rein mit Wasserstoff angetrieben werde, nur mehrere kleine Projekte.
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Woher kommt aber dann der weiße Wasserdampf, den die „Mein Schiff 6“ auf ihrem Weg durch die Schären vor Stockholm aus ihren Schornsteinen ausstößt, wenn der große Dampfer nicht mit Wasserstoff beziehungsweise Brennstoffzelle angetrieben wird? Nun, Kreuzfahrtschiffe brauchen nicht nur Energie, um zu fahren, sondern auch für die Versorgung an Bord. Zum Beispiel für Strom in den Restaurants und Kabinen. Dafür lohnt sich eine mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzelle schon.
Wirklich klimafreundlich ist die aber nur, wenn der dafür verwendete Wasserstoff grün ist. Also zum Beispiel aus Wind- oder Solarkraft und nicht aus Kohle oder Atomstrom hergestellt wurde.
Aida und „Mein Schiff“ müssen CO2-Emissionen reduzieren
Was bleibt für die nächsten Jahre bei der „Aida“ und „Mein Schiff“ in Bezug auf Klimafreundlichkeit? Greta Thunberg und Luisa Neubauer werden definitiv nicht von Bord eines der Schiffe grüßen, so viel steht fest. Die Unternehmen werden zwar weiter ihre Emissionen senken, aber bis man wirklich klimaneutral unterwegs ist, ist es noch ein weiter Weg.
Dennoch ist alles besser, als lediglich auf die Inbetriebnahme der ersten emissionsfreien Schiffe 2030 zu setzen. „Es bringt eigentlich mehr, bei allen Schiffen die CO2-Emissionen deutlich zu senken, als jetzt ein emissionsfreies loszuschicken“, sagt Karsten Müller von der Universität Rostock.
Und CO2 und andere Emissionen reduzieren tun Aida und „Mein Schiff“ – wenngleich es Naturschützern natürlich, genau wie beim Investieren in emissionsfreie Antriebstechnologien, nicht schnell genug geht.
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„Bis 2025 reduzieren wir die CO2-Emissionen im Vergleich zu 2015 um 40 Prozent“, sagt Sprecherin Friederike Grönemeyer von Tui Cruises. Und von Aida-Kollegin Martina Reuter heißt es: „Der Fokus wird auf dem Einsatz von Brennstoffzellen liegen, aber auch auf der Nutzung von Batterien, Windenergie und Photovoltaik. Wir engagieren uns außerdem mit Partnern aus Wissenschaft und Industrie in verschiedenen Forschungsprojekten zum Thema nachhaltige Treibstoffe, auch zur Nutzung von Wasserstoff.“
Aida und „Mein Schiff“: Landstrom von hoher Bedeutung
So soll zum Beispiel das LNG-Schiff „Aida Nova“ die „bisher größten Brennstoffzelle an Bord eines Passagierschiffes“ mit einer Leistung von 200 Kilowatt bekommen. Zudem setzt die Reederei auf Landstrom. Einen Großteil ihrer Zeit verbringen Schiffe nämlich in den Häfen am Festland und nicht auf See.
Auch dort werden enorme Mengen Schweröl/Diesel für die Stromproduktion verbraucht, die Schornsteine qualmen. Damit die Schiffsmotoren abgestellt werden können, müssen die Schiffe von Land aus mit (grünem) Strom versorgt werden.
„Die Nutzung von Landstrom oder der sofortige Verzicht auf Schweröl sind Maßnahmen, die schon heute die Situation drastisch verbessern könnten“, sagt Naturschützer Christian Knopp. „Aida nutzt als bisher einzige Reederei die Landstromanlagen in Hamburg, Rostock und Kiel und engagiert sich auch in anderen Häfen“, gibt sich Martina Reuter stolz.
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Übrigens: Die Kreuzfahrtindustrie, die ehrlich gesagt nicht lebensnotwendig und reines Vergnügen ist, macht nicht mal ein Prozent der zivilen Schifffahrt aus. Der große Teil sind Zehntausende Handelsschiffe, die den Welthandel aufrechterhalten und lebensnotwendig sind. Vor allem sie müssen mit neuen Antriebsmöglichkeiten ausgestattet werden.
Bleibt zu hoffen, dass die Offenheit gegenüber Technologien wie Ammoniak, wenn sie eines Tages zur Verfügung stehen, dort groß ist.