Veröffentlicht inNorddeutschland

Nordsee: Politik-Beben nach Bauern-Eskalation – „Feuchte Träume vom Umsturz“

Nachdem Vizekanzler Robert Habeck an der Nordsee von wütenden Bauern angegangen wurde, wüten seine Kollegen los. Auch gegen den Minister selbst.

© Imago

Auf Fahrbahn geklebt: Klimaaktivisten blockieren Berufsverkehr

München, 16.05.22: Klimaaktivisten haben sich am Montagmorgen auf Straßen in München und in Stuttgart festgeklebt und so den Berufsverkehr beeinträchtigt. Die Gruppe «Aufstand der letzten Generation» blockiert seit Monaten deutschlandweit immer wieder Straßen und Autobahnen.O-TON Benjamin, KlimaaktivistJa, wir setzen hier und wir blockieren hier eine Autobahnausfahrt, denn wir fordern von Robert Habeck eine Lebenserklärung. Es darf einfach keine neuen fossilen Infrastrukturen und auf keinen Fall neue Ölbohrungen in der Nordsee geben, wenn wir noch eine Zukunft haben wollen. Herr Habeck, sind Sie für fossile Brennstoffe oder sind Sie für die Leben von Menschen Teil? Das kann man nicht zusammen vereinen.Die Abfahrt München-Fürstenried auf der Autobahn 95 stadteinwärts sei stundenlang blockiert gewesen, sagte ein Polizeisprecher. Ein dpa-Fotograf berichtete von einigen aufgebrachten Autofahrern, die für die Aktion der Umweltschützer offensichtlich kein Verständnis hatten und handgreiflich wurden. Von Übergriffen wusste der Polizeisprecher zunächst nichts, schloss diese aber nicht aus. In den vergangenen Wochen gab es deutschlandweit ähnliche Aktionen von Aktivistinnen und Aktivisten, zum Beispiel aus Protest gegen Lebensmittelverschwendung.

Wirtschaftsminister Robert Habeck wollte gestern (4. Januar) mit einer Fähre in Schüttsiel an der Nordsee anlegen. Der Politiker kam am Abend von einer privaten Reise zurück und wurde von den protestierenden Bauern überrascht. Die Stimmung war extrem aufgeheizt.

Schon seit Wochen streiken tausende Bauern deutschlandweit gegen die Sparpläne der Ampel-Regierung. Jetzt bekam Habeck eine Mega-Klatsche (wir berichteten). Die Reaktionen von Politik-Kollegen sind deutlich.

Nordsee: Wochenlanger Bauernprotest erreicht Höhepunkt

Seit Ende des vergangenen Jahres protestieren Bauern gegen die Ampel-Regierung. Die Koalition plante die Streichung der Kfz-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft sowie die Streichung der Steuerbegünstigung bei Agrardiesel. Ein Einlenken der „Ampel“ gab es sogar schon – die Kfz-Steuerbefreiung ist gekippt.

Zufrieden geben sich die Bauern damit scheinbar nicht, Wirtschaftsminister und Vizekanzler Habeck wurde von Hunderten verärgerte Bauern in Schlüttsiel empfangen. Die Polizei bat in Zusammenarbeit mit Robert Habeck ein Gespräch beider Parteien an. Die Bauern lehnten ab.

+++ Nordsee: Bauern-Revolte trifft Habeck hart! Minister flüchtet zurück auf Insel +++

Nordsee: Politiker distanzieren sich

Wenige Minuten später versuchten aufgebrachte Protestler gewaltsam auf die Fähre zu gelangen. Rund 30 Polizisten hinderten die pöbelnden Bauern mit vereinten Kräften daran.

Aufgrund der Sicherheitsrisiken für den Wirtschaftsminister zog die Fähre wenige Minuten später wieder ab und brachte Habeck zurück nach Hallig Hooge. Um 1.50 Uhr am Freitag (5. Januar) dann Entwarnung, der Vizekanzler konnte die Fähre sicher verlassen und wurde mit Personenschützern zu einem wartenden Fahrzeug an der Nordsee begleitet. Ein Vorfall, der für Bestürzung sorgt.

Nordsee: „Feuchte Träume“

Am Freitagmorgen meldeten sich Politiker aller Parteien und distanzierten sich eindeutig von der Art des Protests. Am deutlichsten wurde Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) im ARD-Morgenmagazin. „Ich messe da immer mit gleichem Maß, ob bei Klimaklebern oder bei den Bauern am Fährhafen: Gewalt und Nötigung sind verachtenswert und schaden auch dem Anliegen“ sagte der Grünen-Politiker. Doch damit nicht genug: Özdemir setzte noch einen drauf. „Das sind Leute, die haben feuchte Träume von einem Umsturz. Das ist inakzeptabel“, äußerte Özdemir sichtlich verärgert.


Erfahre mehr:


Auf Bundesebene lassen die Statements von Friedrich Merz oder Markus Söder noch auf sich warten. Werner Schwarz, Landwirtschaftsminister von Schleswig-Holstein (CDU), bat die Protestierenden darum, sich friedlich zu verhalten. „Bei der gestrigen Blockade in Schlüttsiel sind ganz klar Grenzen überschritten worden. Das dortige Vorgehen ist inakzeptabel und schadet dem eigentlichen Anliegen. Gewalt gegen Menschen oder Sachen hat in der politischen Auseinandersetzung nichts verloren. Von daher verurteile ich die gestrigen Ereignisse. Demonstrationen haben sich an Recht und Ordnung zu halten! Ich appelliere daher noch einmal eindringlich, in der anstehenden Protestwoche friedlich und demokratisch zu demonstrieren.“

Nordsee: SPD pflichtet bei

Kianusch Stender, stellvertretende Pressesprecherin der SPD-Landtagsfraktion Schleswig-Holstein äußerte sich mit einer offiziellen Pressmitteilung zu dem Vorfall. „Scharf zu verurteilen sind die gestrigen Vorfälle am Fähranleger Schüttsiel. Die Bilder von der
versuchten Erstürmung der Fähre sind extrem beunruhigend. Solche Aktionen verstoßen massiv gegen unsere demokratischen Spielregeln. Es erschreckt mich, wenn in Schleswig-Holstein nicht sichergestellt werden kann, dass ein Bundesminister seinen Urlaubsort verlassen kann.“

Auch Fraktionsvorsitzende der AfD, Alice Weidel, äußerte sich in den sozialen Medien. Doch anders als ihre Kollegen ging sie Habeck selbst an. Sie betitelte Habecks Rückzug als „Fährenflucht“.

Nordsee: Deutscher Bauernverband distanziert sich von radikalem Verhalten

Joachim Rukwied, Präsident des deutschen Bauernverbands distanzierte sich letztendlich ebenfalls vom Verhalten der protestierenden Bauern an der Nordsee. In einem offiziellen Statement schrieb er: „Blockaden dieser Art sind ein No-Go. Wir sind ein Verband, der die demokratischen Gepflogenheiten wahrt. Persönliche Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt gehen gar nicht. Bei allem Unmut respektieren wir selbstverständlich die Privatsphäre von Politikern.“

Die Protestaktionen für die kommenden Woche bleiben von Seiten des Bauernverbandes bestehen – trotz des Entgegenkommens der Ampel-Regierung.