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Sylt: Hier drehte eine merkwürdige Truppe am Rad – „Verein der Matratzenschoner“

Sylt: Hier drehte eine merkwürdige Truppe am Rad – „Verein der Matratzenschoner“

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Früher feierten an dieser Stelle auf Sylt Legenden wie Marlene Dietrich (oben rechts) und Hans Albers (unten rechts). Foto: IMAGO / teutopress / Ronald Grant / picture alliance/dpa | Bodo Marks

Das „American Bistro“ in Westerland auf Sylt machte im Oktober mit einem Corona-Ausbruch von sich reden. Eigentlich ist das beliebte Lokal aber eher für verrückte Feiern, wie die legendären Surfcup-Partys, bekannt.

Wenn nicht gerade Lockdown ist, treffen sich Einheimische und Sylt-Urlauber zum Trinken, Tanzen und Essen in dem Lokal – und das schon seit Jahrzehnten. Bilder aus vergangenen Tagen zeigen, wie wild damals schon dort gefeiert wurde.

Sylt: „Beliebter Mittelpunkt für die Nachtbummler“

Früher trug die Bar allerdings den Namen „Baumannshöhle“ und war weit über die Grenzen der Insel bekannt. Als „beliebter Mittelpunkt für die Nachtbummler Westerlands“, wird das Lokal damals Zeitungsartikel beschrieben.

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„Die Eröffnung war nachweislich 1932“, erzählt Alexander Römer vom Sylt Museum MOIN.DE. Inhaber Reinhold Baumann – aufgrund seiner Größe „Riese Baumann“ genannt – heiratete 1922 seine Frau Henriette. Zehn Jahre später machten sie das Nachtlokal auf.

Bekannte Persönlichkeiten feiern auf Sylt

Alles, was Rang und Namen hatte, schlug sich in der „Baumannshöhle“ die Nächte um die Ohren. Darunter ein besonders skurriler Trupp, der sich der „Verein der Matratzenschoner“ nannte.

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Wie der Name vermuten lässt, war deren Ziel, die Nächte zum Tag zu machen und laut Zeitungsbericht „übermütig-vergnügtes Treiben“ zu entfalten.

Die Mitglieder waren bekannte Persönlichkeiten wie Hans Albers, Max Schmeling und niemand geringeres als Marlene Dietrich. Die Schauspiel-Legende durfte als einzige Frau dem Verein beitreten.

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Karten regeln Kneipenalltag auf Sylt

Die wohl wichtigste Regel: Jedes auf der Insel ankommende Mitglied musste sich beim Präsidenten melden und eine Runde ausgeben. Dieses Schicksal ereilte auch andere Gäste.

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Das ist Sylt:

  • Sylt ist die größte nordfriesische Insel und liegt in der Nordsee
  • Nach Rügen, Usedom und Fehmarn ist Sylt die viertgrößte Insel Deutschlands
  • Die Insel Sylt ist vor allem für ihre Kurorte Westerland, Kampen, Wenningstedt und den ca. 40 Kilometer langen Sandstrand im Westen bekannt
  • Zahlreiche Gebiete auf und um Sylt sind als Schutzgebiete ausgewiesen. Auf der Insel gibt es allein zehn Naturschutzgebiete
  • Der Tourismus ist seit über 100 Jahren auf Sylt von erheblicher Bedeutung, seit Westerland 1855 zum Seebad (Kurort) wurde
  • Im Sommer befinden sich täglich rund 150.000 Menschen auf der Insel
  • Zum Vergleich: Lediglich rund 18.000 Menschen leben auf Sylt
  • Die Insel erreicht man mit dem Auto vom Festland mit dem Sylt-Shuttle der DB und dem Autozug, dazu verkehren Nahverkehrszüge und Inter City Züge der DB.
  • Auch über den Flughafen Sylt ist die Insel per Linien- und Charterverbindungen zu erreichen

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Mit Hilfe von kleinen Kärtchen regelten Reinhold Baumann und seine Frau den Kneipenalltag. Wer den Hinweis „Sie werden gebeten, so unauffällig wie möglich eine Lage zu geben“ erhielt, musste den anderen Feierwütigen Bier, Wein oder Champagner spendieren.

Sylt: „Ich kneipe diese Nacht“

Weniger zu lachen hatte die Person, die diese Karte bekam: „Sie haben bei uns nichts zu bezahlen – Wir bitte Sie aber, das Lokal zu verlassen!“ Und auch für Gäste, die zu tief ins Glas geschaut hatten, gab es Karten.

„Ich kneipe diese Nacht“, stand auf dem Zettel, auf dem die Partygänger ihre Namen und Adressen notieren konnten. „Sollte ich meinen Weg nicht mehr finden, so befestigen Sie mir diesen Zettel im Knopfloch und senden mich heim.“

Kapelle sorgt auf Sylt für Unterhaltung

Genauso Tradition wie die lustigen Kärtchen hatte die Musik. Reinhold Baumann unterhielt seine Gäste mit Live-Musik. „Eine ,lebendige’ Kapelle“, die laut dem Zeitungsbericht ebenfalls zahlreiche Leute anzog. Denn „überlaute Disco-Musik ist eben nicht für jedermann das Richtige.“

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Während in andere Locations auf der Insel „Smoking-Zwang“ herrschte, lässt sich auf den Aufnahmen aus der „Baumannshöhle“ kein besonderer Dresscode erkennen. „Die dargestellten Personen sind eher ,normal’ gekleidet“, sagt Alexander Römer.

Bar auf Sylt wird umgebaut

Der „Verein der Matratzenschoner“ hatten sogar ein eigenes Vereinsabzeichen: Eine Möwe, die drei Klauen um einen Würfel schließt. Dazu gab es eine passende Fahne, die während der NS-Zeit nicht gehisst werden durfte.

Nach dem Krieg, 1945, verstarb Reinhold Baumann. Anschließend besetzten die Briten das Lokal. Nach Umbauten eröffnete Henriette die Bar 1953 wieder. Zusätzlich entstand das Restaurant „Baumannsklause“.

Noch ein skurriler Verein auf Sylt

„Im Lauf der Jahre mauserte es sich zu einer exquisiten Gaststätte, der maritime Atmosphäre das Besondere gibt“, heißt es in dem Zeitungsartikel.

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Wenig später fand das Vorbild der „Matratzenschoner“ Nachahmer: 1956 gründeten sich „Die Endlosen“: Eine Gruppe von feierlustigen Insel-Fans, die sich mindestens einmal jährlich am 13. August in der „Baumannshöhle“ trafen.

„Mir wurde gesagt, dass so eine Clique zusammenbleiben müsse“, sagte ein Mitglied zur Feier des 25-jährigen Jubiläums der „Sylter Rundschau“.

Tradition auf Sylt lebt fort

Genauso unvergessen bleibt der „Verein der Matratzenschoner“. Nach dem Krieg kramte Henriette Baumann die Vereinsfahne wieder hervor und feierte mit 18 „Matratzenschonern“ das 30-jährige Bestehen der Truppe.

Wann genau die „Baumannshöhle“ dicht gemacht hat, kann Alexander Römer nicht mit Sicherheit sagen. „Mir liegen bis 1978 unterschiedliche Nachweise zur Existenz der ,Baumannsklause’ vor.“

Doch eines ist klar: Die Tradition besteht fort. Zwar gibt es heute keine Live-Kapellen und Kneipenanhänger mehr, doch im „American Bistro“ wird die Nacht weiterhin zum Tag gemacht.