Hamburg ist eine Stadt der Seefahrer. Noch immer spielt die Schifffahrt hier im Norden eine große Rolle. Doch während die Reedereien in der Corona-Pandemie Rekordumsätze erzielen, sind die Zustände an Deck oft prekär.
Der Seemannsclub Duckdalben der Seemannsmission in Hamburg kennt die Situation an Bord und am Hafen. Im Gespräch mit MOIN.DE erzählt Leiter und Diakon Jan Oltmanns, wie die Besatzungen leiden.
Hamburg: Schlimme Zustände während Corona
„Es gibt Seeleute, die überhaupt nicht nach Hause können“, berichtet der Diakon. Monatelang harren sie auf den großen Schiffen aus, sehen ihre Familie nicht und dürfen teilweise nicht mal einen Fuß an Land setzen.
In Asien etwa würden viele nicht mehr von Bord gelassen. „Das ist eine Katastrophe. Ein Kapitän hat berichtet, wie furchtbar es für ihn war, einem Besatzungsmitglied zwei Zähne ziehen zu müssen, weil es keine Möglichkeit gab, mit ihm zum Zahnarzt zu gehen.“ Solche Ereignisse kämen unter Corona-Bedingungen häufiger vor.
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In Deutschland und Hamburg sei die Lage anders. Hafenärzte- und ärztinnen kümmern sich hier, wenn es medizinische Notfälle gibt. Mittlerweile hat auch der Seemannsclub wieder geöffnet und empfängt Menschen aus vielen Ländern. „Wir haben strenge Hygiene-Auflagen, aber die Seeleute können wieder zu uns kommen. Es gibt allerdings auch viele Reedereien, die das nicht erlauben.“
Hamburg: Kein schnelles Internet an Bord
Als Beispiel nennt Oltmanns das Kreuzfahrt-Schiff „MSC Magnifica“, das seit vergangener Woche wieder regelmäßig in der Hansestadt ablegt. „Dort ist uns ganz eindeutig gesagt worden, dass wir uns nicht bemühen brauchen. Die Seeleute dürfen nicht an Land“, erzählt der Diakon.
Während sich Passagiere auf Landgängen vergnügen, bleibt die Besatzung auf engstem Raum zurück. Oft fehle an Bord schnelles Internet und somit eine wichtige Kontaktmöglichkeit in die Heimat. „Das ist eine absolut schlechte Behandlung. Die Seeleute nicht an Land zu lassen, obwohl es ein Hygiene-Konzept und eine Aufenthaltsmöglichkeit gibt, das halte ich für extrem und unmenschlich.“
Die Reedereien setzen derzeit Rekordsummen um. Anfang des Monats hat der dänische Konzern Maersk die Bücher geöffnet und die Zahlen für das dritte Quartal 2021 veröffentlicht. Noch nie hat die Reederei eine derartige Summe umgesetzt. Hohe Frachtraten und Nachfragen bescherten den Dänen einen Gewinn von 5,45 Milliarden Dollar. Im Vorjahr lag er noch bei 1,12 Milliarden.
Auch bei Hapag-Lloyd läuft es. Hier wurden im dritten Quartal 2,9 Milliarden Euro erwirtschaftet. Zehnmal so viel wie im Vorjahr. Dennoch müssen die Seeleute oft für ihre Heuer kämpfen. „Das macht mich wütend“, so Oltmanns.
Aussichtslosigkeit an Bord, Ungewissheit und der fehlende Kontakt zu Angehörigen belasten die Seeleute zudem. „Das hat zu Selbstmorden geführt“, erzählt Oltmanns. „Auch ohne Corona ist Seemann kein Traumberuf. Man muss sich deutlich machen, dass man unfassbar lange von der Familie getrennt ist. Viele Seeleute sagen: ‚Ich opfere mein Leben, damit es meiner Familie gut geht‘.“
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Daten und Fakten über Hamburg:
- Hamburg ist als Stadtstaat ein Land der Bundesrepublik Deutschland.
- Hamburg ist mit rund 1,9 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Deutschlands und die drittgrößte im deutschen Sprachraum.
- Das Stadtgebiet ist in sieben Bezirke und 104 Stadtteile gegliedert, darunter mit dem Stadtteil Neuwerk eine in der Nordsee gelegene Inselgruppe.
- Der Hamburger Hafen zählt zu den größten Umschlaghäfen weltweit.
- Die Speicherstadt und das benachbarte Kontorhausviertel sind seit 2015 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes
- International bekannt sind auch das Vergnügungsviertel St. Pauli mit der Reeperbahn sowie das 2017 eröffnete Konzerthaus Elbphilharmonie.
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Hamburg: Impfaktion für Seeleute aus allen Ländern
Um ihnen ihren Alltag angenehmer zu gestalten, bietet der Seemannsclub Aufenthaltsmöglichkeiten an. Hier gibt es Essen, schnelles Internet, Unterhaltungsmöglichkeiten und Orte der Ruhe. „Einfach mal festen Boden unter den Füßen zu haben und andere Gesichter als an Bord zu sehen. Sich etwas von der Seele reden.“ Das sei wichtig.
Wer nicht von Bord darf, kann die Mitarbeitenden der Duckdalben über einen neuen Chat kontaktieren. Auch psychologische Hilfe wird angeboten. In einem kleinen Online-Shop können Seeleute zudem Waren bestellen, die am Hafen übergeben werden. So erhalten sie Zugang zu Dingen wie Sportgeräten, elektronischen Waren und Süßigkeiten.
Auch Covid-Schutzimpfungen hat der Club angeboten. „Wir schätzen, dass noch nicht mal die Hälfte der Seeleute geimpft ist.“ Einige Reedereien seien der Meinung gewesen, es reiche aus die Offiziere zu impfen. Um die Sicherheit der Crew sorgte sich offenbar niemand. In Zusammenarbeit mit der Hamburger Wirtschaftsbehörde, dem hafenärztlichen Dienst, dem Verband der Reeder und dem Verband der Schiffsmakler wurden Impfaktionen für alle Seeleute unabhängig ihrer Nationalität ermöglicht.
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Eine weitere Hilfsaktion ist zu Weihnachten geplant. Im Vorfeld sammelt der Seemannsclub sogenannte „Christmas Container Boxen“. In weihnachtlich verpackten Kartons können Hamburger und Hamburgerinnen den Seeleuten mit kleinen Geschenken eine Freude bereiten. „Handschuhe, eine warme Mütze oder Socken. Schokolade und Körperpflege – darüber freuen sie sich.“ Wer mehr über die Aktion erfahren will, kann sich >>> hier auf der Seite der Duckdalben informieren.
—— Anmerkung der Redaktion ——
Aus verschiedenen Gründen berichten wir normalerweise nicht über Suizide oder Suizidversuche – außer, wenn diese durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit erfahren.
Wir möchten eindringlich darauf hinweisen: Wer unter Depressionen oder Selbstmordgedanken leidet oder jemanden kennt, der daran leidet, kann sich unter anderem bei der Telefonseelsorge rund um die Uhr beraten lassen. Sie ist erreichbar unter der Telefonnummer 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.