Besucher haben in einer fremden Stadt immer viel zu entdecken. Gebäude, Straßen und auch Kunstwerke laden viele dazu ein, bewusst hinzuschauen und neue Erfahrungen zu machen. Auch die Altstadt von Lübeck zieht mit ihren Gassen, den gepflasterten Straßen und den Schiffen in der Trave viele Touristen an.
Doch nicht alle Besucher nehmen die neue Umgebung auf die gleiche Art war. Menschen mit einer Sehbehinderung verlassen sich viel mehr auf ihr Gehör, sowie den Tast- und Geruchssinn. und Um ihnen die Stadt näherzubringen und die Teilhabe an Kunst im öffentlichen Raum zu ermöglichen, hat eine Künstlerin nun ganz besondere Werke für Lübeck geschaffen.
Lübeck: Brailleschrift als künstlerisches Element
Hinter dem Projekt, das auch in anderen norddeutschen Orten stattfindet, steht die Kielerin Ute Diez, die sich bereits seit langer Zeit mit Schrift-Zeichnungen beschäftigt. Im Zuge ihrer Arbeiten stieß sie auf die Blindenschrift, die Brailleschrift, und widmete sich ihr fortan in ihren Werken.
Aus der Braille entstehen zunächst ihre Schrift-Portraits, auf denen sie verstorbene Persönlichkeiten der Zeitgeschichte abbildet. „Wir Sehenden haben diese Bilder als kollektive Teilhabe im Kopf, aber der Nichtsehende hat keinen Eindruck davon. Plötzlich tat sich mir eine neue Welt auf. Denn in der Kunst ist sehr viel auf den Sehsinn gerichtet, auch im öffentlichen Raum“, erzählt Ute Diez im Gespräch mit MOIN.DE.
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Das ist Lübeck:
- Flächenmäßig ist Lübeck die größte Stadt Schleswig-Holsteins
- Das geschlossene Stadtbild wurde 1987 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt
- Die Hansestadt zählt 1800 denkmalgeschützte Gebäude
- Lübeck zählt rund 220.000 Einwohner
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Das wollte die Kielerin ändern und entwickelte die Idee zu ihrem Projekt „SICHT_FELDER“. An mehreren Plätzen in Lübeck, Kiel und Hamburg stehen bereits Tafeln, die Menschen ihre Umgebung erfühlen lassen. „Irgendwann stand ich an einem Aussichtspunkt, an dem sehr viel Aufwand betrieben wurde, um alles freizuschneiden, damit man auf das offene Meer schauen kann“, so Diez.
Doch diese Erfahrung blieb Nichtsehenden verborgen. „Sie haben natürlich andere Sinne, die angesprochen werden, aber das Seherlebnis bleibt ihnen verwehrt. Dort kam mir die Idee, dass ich Kunst im öffentlichen Raum für Menschen mit Sehbehinderungen schaffe.“
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Lübeck: Augen schließen und fühlen
Das verbindende Motiv ihrer Werke ist das Wasser. Auf allen Tafeln ist das fließende Element in Form von Brailleschrift abgebildet. So können zusätzlich zu den Umrissen und Formen der Umgebung auch Texte erfasst werden.
„Es handelt sich um poetisch zusammengestellte Texte“, erklärt Diez. Das Sichtfeld am Mühlenteich in Lübeck bildet zum Beispiel Sagen und Märchen aus der Hansestadt ab, die sich um den Dom ranken. Gleichzeitig ist der Dom zum erfühlen als Relief abgebildet. Für Sehende ist es zugleich eine Einladung, einmal die Augen zu schließen und die Umgebung auf andere Weise wahrzunehmen. Etwa über den Geruch, die Geräusche und die Reliefs auf den Tafeln.
Für die Entwicklung ihrer Arbeiten hat Ute Diez Kontakt zu Menschen mit Sehbehinderungen aufgenommen. „In den ersten Gesprächen wurde deutlich, dass es sehr viel komplexer ist, als gedacht. Es gibt geburtsblinde Menschen, die den Begriff der Perspektive nicht so leicht übersetzen können. Menschen, die erblinden, haben hingegen Zugang zu Perspektiven und ihrer Bedeutung. Ich wollte einen Mittelweg finden“, berichtet sie.
Die Felder sind aus unterschiedlichen Materialen gefertigt. Einige wurden aus Bronze hergestellt, andere kommen aus dem 3D-Drucker. Dafür gab es bereits Lob. „Aus Kiel etwa habe ich die Rückmeldung von einem Blinden erhalten, der das 3D-Material sehr besonders findet, weil es sich gut anfühlt“, sagt Ute Diez.
Lübeck: Weitere Werke in Kiel und Hamburg geplant
Ein guter Hinweis sei auch gewesen, dass trotz allen Tastens ein deskriptiver Text oder eine andere Begleitung dazugehöre. Deswegen hat Ute Diez ihre Werke um QR-Codes ergänzt. Sie führen zu einer Webseite, auf der Audio-Dateien abgespielt werden können, die den in Brailleschrift geschriebenen Text vorlesen und weitere Schilderungen liefern. So können auch sehende Menschen teilhaben.
„Mir ist wichtig, dass das Projekt inklusiv ist, also auch Sehende anspricht. Blinde werden vielleicht über ein Netzwerk darauf stoßen. Sehende hingegen entdecken das Werk eher durch einen Zufall“, so Diez. Mit ihrer Kunst will sie Diskussionen anregen und Menschen einladen, am Denkprozess der Inklusion teilzunehmen.
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Die Standorte der Tafeln können Interessierte >>> hier auf ihrer Webseite nachschlagen. Weitere Projektorte sind Kiel und Hamburg, hier sollen künftig noch mehr Sichtfelder entstehen.