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Hamburg: Senat wirft schwer kranke Menschen aus der Stadt – und scheut dafür keine Kosten

Hamburg: Senat wirft schwer kranke Menschen aus der Stadt – und scheut dafür keine Kosten

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Hamburg: Politikerin Carola Ensslen äußert scharfe Kritik am Senat. Foto: imago images / Andre Lenthe / Rüdiger Wölk

60.000 Euro, 30.000 Euro, 21.000 Euro. Diese Summen gab die Stadt Hamburg in der Vergangenheit aus, um sechs Menschen in ihre Herkunftsländer abzuschieben. Besonders pikant: Es sind schwer kranke Menschen.

Die Heimatländer der Asylbewerber: Serbien, Ghana, Mazedonien. Besonders der Fall eines Mannes aus Serbien und seiner Familie wurde nun wegen einer Anfrage an den Senat der Stadt Hamburg durch die Linken-Abgeordnete Carola Ensslen stark kritisiert. Sie ist Sprecherin für Flucht und Migration ihrer Partei.

Hamburg: Schwer kranker Serbe abgeschoben

Wie es vom Senat in der Antwort auf die Anfrage heißt, habe der 50-Jährige Mann mit seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn in einer Flüchtlingsunterkunft gelebt. Seit mehr als 20 Jahren sei die Familie vielfach nach Deutschland eingereist und mehrfach „illegal untergetaucht“. Der Betroffene stellte jedes Mal einen Asyl- beziehungsweise Asylfolgeantrag.

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Das große Problem des Serben: Er leidet laut der Flughafen-Abschiebebeobachter der Diakonie Hamburg unter einer schweren, chronischen Lungenkrankheit.

Dennoch wollte Hamburg die Familie Ende 2019 abschieben. Eine Rückführung auf dem Landweg sei laut Senat nicht möglich gewesen, „da die betroffenen Länder keine Durchbeförderungsbewilligungen für Abschiebungen erteilen.“

Hamburg: Abschiebung per Ambulanz-Flugzeug

Man entschied sich für das Flugzeug. Ärzte, unter anderem vom Amt für Migration, stellten fest, dass der Mann nicht flugtauglich ist – außer in einem Ambulanzflugzeug mit Sonderausstattung und ärztlicher Begleitung. Die Kosten für den Transport nach Serbien und ärztliche Gutachten laut Senat: insgesamt knapp 21.000 Euro.

2018 und 2017 wurden drei schwer kranke Menschen aus Ghana und Mazedonien für 60.000 Euro beziehungsweise 30.000 Euro abgeschoben. Der Mann aus Ghana litt an einem schweren Nierenleiden.

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Asylverbände laufen Sturm gegen das Handeln der Stadt Hamburg, das aber, trotz aller Zweifel an der Menschlichkeit, rechtskonform ist. Carola Ensslen fordert auf Anfrage von MOIN.DE an erster Stelle „keine Abschiebung durchzuführen“.

Nachbarland von Hamburg untersagte Abschiebung

„Wenn Menschen so krank sind, dass sie nur mit teuren Ambulanzflugzeugen und Notarzt an Bord abgeschoben werden können – sollten den Verantwortlichen dann nicht leise Zweifel an der Abschiebung an sich kommen?“, fragt die Organisation Pro Asyl.

Das Projekt „fragdenstaat.de“ verweist zudem auf das Nachbarland Mecklenburg-Vorpommern, wo das Verwaltungsgericht Schwerin 2018 eine geplante Abschiebung eines schwer kranken Mannes nach Ghana untersagte. Er könne sich die Behandlung dort nicht leisten, weswegen eine Abschiebung nicht zu verantworten sei.

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„Die Anforderungen in den einschlägigen gesetzlichen Regelungen über Abschiebehindernisse wurden in den letzten Jahren verschärft. Dennoch bleiben Spielräume, etwa eine Reiseunfähigkeit oder eine gesundheitlich zu schlechte Versorgung im Zielstaat anzunehmen, die wohlwollender ausgenutzt werden könnten“, sagt Ensslen.

Hamburg übergibt Menschen an Ärzte

Der Senat teilt mit, dass der Serbe am Zielort an einen Arzt übergeben wurde und Informationen über Behandlungsmöglichkeiten der Erkrankung vorher über das Auswärtige Amt eingeholt und nach Landung „in Schriftform übergeben“ worden seien.

„Eine Rückführung von behandlungsbedürftigen Personen erfolgt regelmäßig nur dann, wenn eine erforderliche medizinische Versorgung im Zielstaat erreichbar ist.“

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Erreichbarkeit bedeutet allerdings nicht gleich, dass die Menschen in Ghana, Serbien oder Mazedonien tatsächlich ausreichend versorgt werden. ProAsyl berichtet zum Beispiel über die Abschiebung eines Einjährigen, schwer kranken Kindes aus Niedersachsen im Sommer 2020 nach Georgien, das dort laut Unterstützern aus dem Flüchtlingsrat nicht ausreichend Medikamente bekam.

Hamburg: Scharfe Kritik von Linken-Politikerin

„Dieses Vorgehen finde ich völlig unzureichend“, sagt deswegen Carola Ensslen über das Vorgehen der Stadt Hamburg. „Die Übergabe an einen Arzt bietet keine Gewähr dafür, dass die betroffene Person auch wirklich in das Gesundheitssystem integriert wird und eine weitere Behandlung finanziert werden kann. Der Senat kümmert sich nicht darum, ob und für welchen Zeitraum eine Anschlussversorgung besteht.“

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Sie verweist zudem auf den Hamburger Abschiebebeobachter, laut dem der Senat solche Fälle unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachten würde. „Den Abschiebekosten werden die Versorgungskosten in Deutschland gegenübergestellt.“

Der Vorwurf mit anderen Worten: es ist billiger, eine Person einmalig per Ambulanzflugzeug und mit hohen Kosten abzuschieben, als sie in Hamburg zu versorgen.

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Hamburg kalt und herzlos

„Aus meiner Sicht missachtet der Senat das Grundrecht auf Leben und Gesundheit mit so einer reinen Wirtschaftlichkeitsberechnung eklatant. Es ist obendrein kalt und herzlos“, meint Carola Ensslen.

Was mit den schwer kranken Personen in ihren Heimatländern nach der Übergabe passierte, weiß niemand. Weder ob sie dort angemessen versorgt wurden, noch ob sie am Leben sind.

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Es gebe „keine“ Erkenntnisse über den Verbleib oder den Zustand der betroffenen Personen“, heißt es vom Senat. Der Serbe soll weder durch Organisationen noch Anwälte vertreten worden sein. Auch Carola Ensslen hat zum Verbleib keine Informationen.

Der Hamburger Senat teilt außerdem mit, er werde auch in Zukunft per Ambulanzflugzeug abschieben, wenn dies „in Ermangelung einer anderen Rückführungsmöglichkeit erforderlich und realisierbar ist.“